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Einleitung und Problemaufriß

 

 

Ausgangspunkt einer Untersuchung über die Kompetenzen des Aufsichtsrates muß seine organisatorische Stellung zwischen den Hauptorganen Hauptversammlung und Vorstand sein.

 

Diese beiden Organe sind in ihrer Zuständigkeit streng voneinander getrennt, die Verfassung der Aktiengesellschaft ist insoweit von einer Art Gewaltenteilung geprägt:

 

Die Anteilseigner üben ihre Rechte in der Hauptversammlung aus; diese entscheidet nur über die grundlegenden Belange der Gesellschaft, zum einen über sog. Grundlagengeschäfte (satzungsändernde Beschlüsse einschließlich kapitaländernden Beschlüssen, Auflösung, Gewinnverwendung, § 119 Abs. 1 Ziff. 2, 5, 6, 8 AktG). Zum anderen stehen der Hauptversammlung bestimmte Kontrollrechte zu (Bestellung von Prüfern, § 119 Abs. 1 Ziff. 2 AktG, Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, §§ 119 Abs. 1 Ziff. 3, 120 AktG). Auf die Geschäftsführung hat die Hauptversammlung grundsätzlich keinen Einfluß, § 119 Abs. 2 AktG, allenfalls auf Anfrage des Vorstandes, wobei strittig ist, ob bei besonders wichtigen Geschäften, wie z.B. Fusionen, der Vorstand verpflichtet ist, eine Anfrage an die Hauptversammlung zu richten1.

 

Diese Befugnisse der Hauptversammlung sind in § 119 AktG und weiteren Vorschriften des AktG abschließend geregelt.

 

Demgegenüber leitet der Vorstand in eigener Verantwortung die Geschäftsführung (§ 76 Abs. 1 AktG). Dabei ist Geschäftsführung alles das, was nicht in den Kompetenzbereich der Hauptversammlung fällt, d.h. der Vorstand ist grundsätzlich allumfassend zuständig, es sei denn, es besteht eine Kompetenzzuweisung an die Hauptversammlung.

 

Im Verhältnis Vorstand - Hauptversammlung ist letztere somit in ihren Befugnissen stark beschränkt, während der Vorstand aufgrund der Generalklausel des § 76 Abs. 1 AktG praktisch unumschränkt schalten und walten kann. Zwar ist er an das Wohl der Gesellschaft und die Beschlüsse der Hauptversammlung gebunden (§ 83 Abs. 2 AktG, so diese ausnahmsweise gem. § 119 Abs. 2 AktG entscheiden darf); diese Verpflichtung ist in der Praxis jedoch wenig wert, wenn eine wirksame Handhabe zur Kontrolle der Pflichterfüllung durch den Vorstand fehlt. Die Kontrollmöglichkeiten der Hauptversammlung selbst sind kaum zureichend, da diese aufgrund ihrer strikten Trennung von der Geschäftsführung (vgl. § 119 Abs. 2 AktG) auf den Vorstand nur geringen Einfluß nehmen kann. Hinsichtlich der Informationen über die Geschäftsführung ist die Hauptversammlung auf das angewiesen, was sie vom Vorstand in der regelmäßig einmal im Jahr stattfindenden Versammlung erfährt (§ 131 Abs. 1, 2 AktG, wobei dem Vorstand umfangreiche Auskunftsverweigerungsrechte zustehen, § 131 Abs. 3 AktG).

 

Aus dieser Situation erklärt sich die Existenz des Aufsichtsrates. Der Aufsichtsrat steht zwischen Hauptversammlung und Vorstand. Er hat im Gegensatz zu den anderen Organen keine Kompetenz, die aus sich heraus eigenständige Bedeutung hätte. Der Gang der Unternehmensgeschäfte wird ausschließlich durch die Hauptversammlung (Grundlagengeschäfte) und den Vorstand (laufende Geschäftsführung) ausgeübt. Zwischen diesen beiden Polen steht der Aufsichtsrat:

 

Auf den ersten Blick scheint die Stellung des Aufsichtsrates ebenfalls von einer strikten Trennung von den beiden anderen Organen geprägt zu sein: gemäß § 111 Abs. 4 S. 1 AktG hat der Aufsichtsrat die Geschäftsführung als ausschließliche Angelegenheit des Vorstandes zu respektieren; auf die Kompetenzen der Hauptversammlung hat er ebenfalls keinen Einfluß.

 

Allerdings würden drei völlig unabhängige Organe zu einem undynamischen, unkoordinierten Nebeneinander der Tätigkeiten der einzelnen Organe führen. Eine Gewaltenteilung bedarf als Gegenstück einer Gewaltenverschränkung. Es ist nun gerade Aufgabe des Aufsichtsrates, diese Gewaltenverschränkung herbeizuführen. Dabei gerät er allerdings in ein Spannungsverhältnis zwischen Vorstand und Hauptversammlung, das sich im wesentlichen in vier verschiedenen Ausprägungen darstellt:

  

  • Stellung als Hilfsorgan des Vorstandes bei der Geschäftsführung.

  • Stellung als Hilfsorgan der Hauptversammlung bei der Kontrolle

  • Bindeglied zwischen Vorstand und Hauptversammlung (à Wahl des Vorstandes)

  • Hilfsorgan im Interesse des Gemeinwohls

  •  

    Zum einen stellt sich die Frage, inwieweit der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Kontrollbefugnis dazu berufen ist, dem Vorstand bei der Geschäftsführung zur Seite zu stehen. Eine solche Hilfestellung bei der Geschäftsführung ist (jedenfalls in gewissem Rahmen, der in dieser Abhandlung insbesondere im Hinblick auf die beratende Hilfestellung abzustecken sein wird) nicht von vornherein ein Widerspruch zu § 111 Abs. 4 S. 1 AktG. Schon die bloße Kontrolle der eigenen Handlungen durch Dritte kann eine wichtige Hilfestellung sein. So können z.B. Zustimmungsvorbehalte (§ 111 Abs. 4 S. 2 AktG) dem Vorstand bei der Geschäftsführung durchaus hilfreich sein. Bringt etwa der Aufsichtsrat dem Vorstand gegenüber zum Ausdruck, er werde die Zustimmung zu einer bestimmten Maßnahme verweigern, so kann dies für den Vorstand eine hilfreiche Anregung sein, die beabsichtigte Geschäftsführungsmaßnahme zu überdenken und zu verbessern. Die Kernfrage ist insoweit, wann die Tätigkeit des Aufsichtsrates von der bloß kontrollierenden Hilfestellung in eigene (gemäß § 111 Abs. 4 S. 1 AktG untersagte) Geschäftsführung des Aufsichtsrates umschlägt. Es wird hier v.a. zu untersuchen sein, inwieweit eine Beratung des Vorstandes noch Kontrolle oder bereits unerlaubte Geschäftsführung des Aufsichtsrates ist.

     

    Andererseits steht der Aufsichtsrat unmittelbar als Hilfsorgan der Hauptversammlung zur Seite. Die Hauptversammlung ist das Organ der Anteilseigner, vertritt das Kapital und ist damit letztlich die Aktiengesellschaft selbst.

     

    Die Überwachung des Vorstandes (§ 111 Abs. 1 AktG) dient in erster Linie dem Interesse der Anteilseigner; der Vorstand darf aus deren Sicht nicht ein unkontrollierbarer "Staat im Staate" werden, der dem Einfluß derer, denen das Gesellschaftskapital gehört, entzogen ist. Der Aufsichtsrat ist insoweit das Korrelat zu den eingeschränkten Befugnissen der Hauptversammlung. Dies wird v.a. aus einem Vergleich zur Rechtslage bei der GmbH deutlich, die keinen obligatorischen Aufsichtsrat vorsieht, da hier eine Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gesellschafter selbst gewährleistet ist (vgl. § 46 Ziff. 6 GmbHG, dazu Kap. 4 Nr. 3).

     

    Somit bleibt festzuhalten, daß der Aufsichtsrat als Hilfsorgan zum einen der Hauptversammlung und zum anderen dem Vorstand zugeordnet ist. Gerade in dieser ambivalenten Funktion ist der Aufsichtsrat auch Bindeglied zwischen den beiden anderen in Funktionstrennung stehenden Organen. Dies wird vornehmlich an der Bestellung des Vorstandes deutlich, die der Aufsichtsrat vornimmt (§ 84 Abs. 1 S. 1 AktG), der seinerseits durch die Hauptversammlung gewählt wird (§ 101 Abs. 1 S. 1 AktG)2. Insoweit dient der Aufsichtsrat auch der Machtbalance zwischen Vorstand und Hauptversammlung3. Hervorzuheben ist auch, daß die Gesellschaft nicht nur vor schädlichen Handlungen des Vorstandes, sondern gelegentlich auch vor einflußreichen Aktionären zu schützen ist, wie etwa der Fall der Günther & Sohn AG4 zeigt (vgl. auch § 117 AktG).

     

    Neben diesen Funktionen, die sämtlich auf das Wohl der Gesellschaft konzentriert sind, mag der Aufsichtsrat auch einem "gesellschaftsfremden" Zweck, nämlich dem Gemeinwohl (Art. 14 Abs. 2 GG) dienen. Diese Gemeinwohlfunktion kommt z.B. in der Mitbestimmung zum Ausdruck.

      

    Nun dreht sich letztlich die gesamte Aufsichtsratsfrage darum, wo genau der Aufsichtsrat in diesem Gefüge zwischen Vorstand und Hauptversammlung steht. Ist er in erster Linie dazu berufen, um (kontrollierend) Sachverstand in die Geschäftsführung einzubringen und dem Vorstand bei der Leitung der Aktiengesellschaft zur Seite zu stehen, liegt also das Schwergewicht auf der Funktion als Hilfsorgan der Geschäftsführung?

     

    Oder ist er v.a. als Hilfsorgan der Hauptversammlung anzusehen, das als vom Vorstand stark distanziertes Organ im Interesse der Aktionäre über deren Belange wacht?

      

    Der Umfang der hier zu bestimmenden BERATUNGSAUFGABE ist von der Stellung des Aufsichtsrates in diesem Organgefüge in grundsätzlicher Weise abhängig:

     

  • Eine weit umrissene Beratungszuständigkeit würde das Gewicht des Aufsichtsrates weg von der Aufgabe als Hilfsorgan der Hauptversammlung hin zum Vorstand und der Beeinflussung der Geschäftsführung verschieben. Der Aufsichtsrat würde mehr in das "Lager" des Vorstandes geraten.

     

  • Würde man dagegen eine evt. Beratungsaufgabe eng fassen oder ganz ablehnen, so würde der Aufsichtsrat zwangsweise zum Vorstand auf größere Distanz gehen. Er würde den Vorstand in erster Linie im Auftrage der Hauptversammlung kontrollieren.

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    Die folgende Untersuchung soll sich der Lösung dieser Problematik wie folgt nähern:

     

    A. Zunächst soll anhand der rechtshistorischen Entwicklung die ursprüngliche Aufsichtsratsidee und deren Fortentwicklung bis zum geltenden AktG 1965 untersucht werden (Kapitel 1).

     

    B. Danach wird zu fragen sein, ob im System der Aufsichtsratskompetenzen des AktG Raum ist für eine eigenständige Beratungsaufgabe oder ob die Beratung allenfalls Teil der in § 111 Abs. 1 AktG verankerten Kontrollfunktion sein kann (Kapitel 2).

     

    C. Sodann werden die einzelnen speziellen Aufsichtsratsbefugnisse untersucht, anhand derer ermittelt werden soll, welche Gesamtkonzeption von Aufsichtsratskompetenzen das AktG 1965 prägt, v.a. im Hinblick darauf, inwieweit der Aufsichtsrat dazu berufen ist, auf die Geschäftsführung des Vorstandes Einfluß zu nehmen. Daraus lassen sich Rückschlüsse auf den Umfang einer Beratungszuständigkeit ziehen (Kapitel 3).

     

    D. Das so gefundene Ergebnis wird dann anhand des generalklauselartigen Begriffs der Kontrolle in § 111 Abs. 1 AktG (Kapitel 4) und übergeordneter organisationsrechtlicher Prinzipien (Kapitel 5) überprüft.

     

    E. Ist die inhaltliche Reichweite der Beratung abgesteckt, soll schließlich die konkrete Ausgestaltung der Beratungsaufgabe bestimmt werden (Beratungsrecht oder -pflicht; Einfluß einer Anfrage des Vorstandes), wobei auch die Problematik von Beraterverträgen mit Aufsichtsratsmitgliedern angesprochen wird (Kapitel 6).

     

    F. Schließlich wird auf die Beratung im mitbestimmten Aufsichtsrat einge-gangen (Kapitel 7).

     

    G. Die Arbeit endet nach einer thesenartigen Zusammenfassung der Ergebnisse (Kapitel 8) mit einem kurzen gesetzgeberischen Ausblick (Kapitel 9).

     

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    Ablehnend Geßler-Eckardt § 119 AktG Rdnr. 16; in Ausnahmefällen dafür: GroßKomm-Barz § 119 AktG Anm. 7 a.E.; MüHdBuch GesR AG § 34 Rdnr. 11; BGHZ 83 S.131 ("Holzmüller"): es muß sich um eine grundlegende Entscheidung von solcher Bedeutung für die Interessen der Aktionäre handeln, daß der Vorstand "vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen".

    2 Vgl. Hommelhoff, ZHR 151 (1987) S. 499.

    3 BGH WM 1997 S. 1054.

    4 Siehe Spiegel vom 21.04.97 "Leipziger Bauträger Günther & Sohn klagt gegen eigene Aktionäre"

     

     

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