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Kapitel 2

 

Eigenständige Beratungsaufgabe ?

  

In der Literatur wird teilweise vertreten, dem Aufsichtsrat sei neben den in § 111 AktG und anderen Vorschriften des AktG niedergelegten Aufgaben die Funktion eines Beraters des Vorstandes zugewiesen. Dies soll daraus folgen, daß jedenfalls bei Gesellschaften ohne bestimmenden Einfluß eines Großaktionärs die Aufsichtsratsmitglieder einem Personenkreis entnommen werden, der sachlichen Rat und die Pflege von Geschäftsbeziehungen erwarten läßt1.

 

Demgegenüber geht die ganz h.M. von der Abgeschlossenheit der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung aus2, demgemäß die Beratung allenfalls Teil der gesetzlichen Aufgabenzuweisungen (v.a. § 111 Abs. 1 AktG) sein kann. Auch der BGH3 leitet die von ihm postulierte Beratungsaufgabe ausschließlich aus dem Begriff der Kontrolle im Sinne des § 111 Abs. 1 AktG ab, wenn auch in sehr dürftiger und kaum hinreichender Begründung.

 

Der erstgenannten Ansicht, die eine eigenständige Beratungsaufgabe außerhalb der gesetzlichen Kontrolle annimmt, kann aus rechtsdogmatischen Gründen nicht gefolgt werden.

 

Die Zuständigkeiten des AktG sind entsprechend der h.M. abschließend und zwingend, weder durch Satzung noch Hauptversammlungsbeschluß abänderbar4. Die abschließende Regelung der Organisationsverfassung des AktG läßt keine Erweiterungen der Organzuständigkeiten im Wege der Rechtsfortbildung zu.

 

 

1. Organschaftliche Zuständigkeitsregelungen als zwingende formale Kompetenzzuweisungen

 

Es ist ein allgemeiner Rechtsgrundsatz, daß gesetzliche Regelungen betreffend die organschaftlichen Zuständigkeiten in selbständigen Rechtsgebilden grundsätzlich weder zur Disposition der beteiligten Rechtssubjekte stehen noch einer Abänderung oder Erweiterung im Wege der Rechtsfortbildung unterliegen.

 

Zwar ist zuzugeben, daß es durchaus Privatrechtssubjekte gibt, bei denen die Zuständigkeitsbereiche der Organe in gewissem Rahmen dispositiv sind, wie etwa die Personengesellschaften (BGB-Gesellschaft, oHG/KG). Zumindest im Innenverhältnis richten sich die innerorganisatorischen Zuständigkeiten primär nach den Parteivereinbarungen (vgl. § 109 HGB).

 

Allerdings sind die BGB-Gesellschaft und die oHG/KG nur Gesamthandsgemeinschaften, bei denen die eigentliche Rechtszuständigkeit der Gesellschafter nicht berührt ist; Rechtsträger bleiben die einzelnen Gesellschafter. Die bloße Teilrechtsfähigkeit der oHG/KG (§ 124 HGB) verleiht der Gesellschaft (mehr aus praktischen Gründen) nur in Teilbereichen die Stellung eines eigenen Rechtssubjektes (man könnte insofern sogar von einer Fiktion der Rechtsfähigkeit in Teilbereichen sprechen). Es entsteht lediglich ein Verbund von Rechtssubjekten, die ihre "Souveränität" behalten und selbst weiterhin Träger von Rechten und Pflichten sind. Die Organisationsregelungen sind insoweit lediglich Vereinbarungen über eine bestimmte Form gemeinsamen Handelns individueller Rechtssubjekte und bei genauer Betrachtung gar keine eigentlichen Zuständigkeiten.

 

Demgegenüber wird bei juristischen Personen wie den Kapitalgesellschaften ein neuer, eigenständiger Rechtsträger geschaffen, der durch das Tätigwerden von Organen überhaupt erst handlungsfähig wird. Erst die Zuweisung von Zuständigkeiten an Organe verleiht der juristischen Person Rechtsmacht, während bei Gesamtshandsgesellschaften eine - den Gesellschaftern als natürliche Personen ohnehin bereits zustehende - Rechtsmacht lediglich gemeinsam ausgeübt wird. Bei der Körperschaftsbildung begeben sich die Mitglieder ihrer eigenen Rechtszuständigkeit zugunsten eines neuen Rechtssubjektes, zu der sie nur noch in Form einer Beteiligung stehen.

 

Dieser Zustand ganz eigenartiger Gestaltung erfordert klare, abgegrenzte Zuständigkeiten in seiner Verfassung, um handlungsfähig zu sein. Die Tätigkeit der juristischen Person muß eindeutig und abschließend durch Zuständigkeitszuweisungen an die Organe festgelegt sein. Während das Einzelrechtssubjekt "natürliche Person" seinen Willen autonom, aus sich selbst heraus bilden und danach handeln kann, ist diese Möglichkeit der juristischen Person versagt. Sie erlangt ihre Legitimation erst durch die Handlungen ihrer Organe, die zu einer Teilnahme am Rechtsleben führen. Dieser grundlegende Unterschied zwischen Körperschaften und Gesamthandsgesellschaften läßt sich besonders anschaulich an den Besitzverhältnissen ersehen:

 

 

Die Stellung der Organe ist somit der zentrale Punkt der rechtlichen Regelungen einer juristischen Person schlechthin. Damit ein solches abstraktes Rechtsgebilde effektiv handeln kann, ist eine klare Zuständigkeitsabgrenzung ihrer Organe unabdingbar. Ist nicht klar, welches Organ welche Zuständigkeiten hat, ist letztlich die Rechtsfähigkeit der juristischen Person selbst in Frage gestellt, sie kann nicht mehr klar und eindeutig ihren Willen bilden und am Rechtsverkehr teilnehmen. Diesen Gedanken der Rechtssicherheit betont der BGH etwa im Rahmen des § 112 AktG, der im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit formal ohne Rücksicht auf einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt anzuwenden sei. 7

 

Eine klare, formal anzuwendende Zuständigkeitsregelung ist insoweit sowohl zum Schutze der Mitglieder im Innenverhältnis als auch zum Schutze des Publikums im Außenverhältnis erforderlich:

 

a. Rechtssicherheit im Innenverhältnis

 

Wer sich im Wege der Mitgliedschaft in einer Körperschaft teilweise seiner eigenen Rechtszuständigkeit zugunsten einer juristischen Person begibt, der kann verlangen, daß sich das Handeln der Körperschaft und seiner Organe in für ihn erkennbaren und voraussehbaren Bahnen hält. Dies v.a. deshalb, weil die Organe gegenüber der Gesamtheit der Beteiligungsinhaber verantwortlich sind, sei es aufgrund von Haftungsregelungen, z.B. §§ 93, 116 AktG, Art. 61 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 59 BayVerf, oder sei es aufgrund von Regelungen über die Bestellung und Abberufung, während dem einzelnen, von Ausnahmen abgesehen, in der Regel kaum Kontrollrechte zustehen. Dort, wo die Tätigkeitsbereiche der Organe nicht klar bestimmt und demgemäß für die Beteiligten unvorhersehbar und unkontrollierbar sind, droht die Körperschaft zu einem "Selbstläufer" zu werden und sich vollständig von den Körperschaftsmitgliedern zu entfernen. Diese wären - überspitzt ausgedrückt - den Organen ihrer eigenen Vereinigung hilflos ausgesetzt. Das Körperschaftsmitglied hat einen aus der Natur der Sache folgenden Anspruch auf Rechtssicherheit und Berechenbarkeit innerhalb der Körperschaft.

 

b. Rechtssicherheit im Außenverhältnis

 

Ein weiterer Gesichtspunkt in dieser Hinsicht ist die Rechtssicherheit nach außen. Dort, wo das Gesetz einem abstrakten Rechtsgebilde die Rechtsmacht verleiht, am Rechtsverkehr teilzunehmen, müssen die anderen am Rechtsverkehr teilnehmenden Rechtssubjekte klar und unzweideutig erkennen können, wie und durch welches Organ die Körperschaft handelt. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht nach außen (§§ 82 Abs. 1 AktG, 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG) ist Ausdruck dieser nach außen erforderlichen Rechtssicherheit. Da das hier interessierende Problem der Beratungsaufgabe des Aufsichtsrates aber keine unmittelbare Außenwirkung hat, sondern ausschließlich gesellschaftsinterner Natur ist, ist dieser Gesichtspunkt hier wenig ausschlaggebend.

 

c. Zwischenergebnis:

 

Aus den genannten Gesichtspunkten ergibt sich, daß Zuständigkeiten körperschaftlicher Organe grundsätzlich zwingender und abschließender Natur sind . Sie sind nicht parteidispositiv, formal auszulegen und unterliegen aus den gleichen Gründen auch nicht der Rechtsfortbildung in der Weise, daß praeter legem den Organen neue Zuständigkeiten zugedacht werden könnten.

 

Eine Beratungsaufgabe des Aufsichtsrates kann sich somit nur secundum legem aus der gesetzlichen Überwachungszuständigkeit gem. § 111 Abs. 1 AktG und den speziellen Aufgabenzuweisungen an den Aufsichtsrat ergeben.

 

 

2. Voraussetzungen der Rechtsfortbildung im übrigen

 

Abgesehen vom formalen Charakter der Zuständigkeitsvorschriften sind die Voraussetzungen für eine Ausdehnung der Aufsichtsratskompetenzen im Wege der Rechtsfortbildung auch im übrigen nicht gegeben.

 

a.) Rechtsfortbildung ist nur dort statthaft, wo eine Gesetzeslücke existiert. In der Praxis der Rechtsprechung ist dieses Erfordernis zunehmend zu einer bedeutungslosen Floskel "heruntergewirtschaftet" worden, da die Rechtsprechung Lücken in der Regel überall dort als gegeben ansieht, wo sie aus dem Gesetz keine "sachgerechte" Lösung ableiten kann8. Dieser Entwicklung muß entgegengewirkt werden. Wird das Erfordernis der Gesetzeslücke nicht ernst genommen, so wird die normative Bedeutung des Gesetzes selbst mißachtet und einer unkontrollierbaren Rechtsfortbildung der Weg bereitet.

 

b.) Allein aus der Tatsache, daß das AktG zur Frage der Beratung schweigt, kann eine Regelungslücke nicht hergeleitet werden. Es kann ein "beredtes AktG Schweigen" 9 dahingehend vorliegen, daß das, was das Gesetz nicht erwähnt, eben auch nicht existiert. Diesem Gedanken ist vor einer allzu schnellen Lückenschließung zum Erreichen einer "sachgerechten Lösung" Rechnung zu tragen:

 

Eine sog. Normlücke ist in der Zuständigkeitsordnung des AktG von vornherein nicht vorhanden. § 111 AktG und die anderen speziellen Zuständigkeitsvorschriften sind in sich schlüssig und können ohne weitere Hinzufügungen für sich allein sinnvoll angewendet werden. Sie mögen auslegungsbedürftig sein, ergänzungsbedürftig sind sie nicht10.

 

Auch eine Regelungslücke, d.h. eine planwidrige Unvollständigkeit des AktG als ganzes liegt hinsichtlich der Aufgabenzuweisung an den Aufsichtsrat nicht vor. Dies ergibt sich schon aus der Ausgestaltung des § 111 Abs. 1 AktG als Generalklausel:

 

Die Systematik der Aufgabenzuweisung an den Aufsichtsrat gliedert sich einerseits in spezielle Befugnisse (vgl. z.B. §§ 36, 184, 188 etc.); diese enthalten im Wege meist deskriptiver Rechtsbegriffe Aufgabenzuweisungen, die aufgrund des klaren Wortlauts einer Auslegung nur begrenzt zugänglich sind. Daneben findet sich die Generalklausel des § 111 Abs. 1 AktG. Je unbestimmter und generalklauselartiger eine Norm ist, desto abschließender ist sie. Dort, wo das Gesetz einen klaren, engen Wortlaut benutzt, muß der Regelungsumfang zwangsweise fragmentarisch bleiben, da er jeweils nur eng umrissene Fallgestaltungen umfassen kann. Greift das Gesetz dagegen zu einer Generalklausel, so bringt es zum Ausdruck, daß es damit umfassend alle denkbaren Fälle erfassen möchte. Generalklauseln sind als Rechtsnormen vollständig11. Die Unvollständigkeit der Generalklausel liegt alleine in der Dichte des Normtextes. Dieser ist im Wege der Auslegung zu konkretisieren, nicht dagegen zu ergänzen.

 

Daraus folgt auch die Vorgehensweise in der vorliegenden Thematik: die Generalklausel des § 111 Abs. 1 AktG ist als solche abschließend. Eine Ergänzung praeter legem durch eine eigenständige Beratungsaufgabe ist ausgeschlossen. Erforderlich ist eine Konkretisierung des Begriffs "Kontrolle" im Wege der Auslegung des § 111 AktG.

 

Etwas anderes kann auch nicht im Wege eines Umkehrschlusses (arg. e contr.) aus der Bestimmung des § 111 Abs. 4 S. 1 AktG geschlossen werden, etwa in der Weise, daß, wenn dem Aufsichtsrat ausdrücklich Geschäftsführungsmaßnahmen nicht übertragen werden können, gegen die Übertragung anderer Aufgaben als der Geschäftsführung (wie eben z.B. der Beratung) eben gerade keine Bedenken bestehen. Derartige Umkehrschlüsse sind in erster Linie dann angebracht, wenn es sich um schon als solche eng auszulegende Ausnahmevorschriften handelt12. § 111 Abs. 4 S. 1 AktG ist aber gerade keine Ausnahmevorschrift. Dies ergibt sich daraus, daß das Gesellschaftsrecht überhaupt nur drei, den einzelnen Organen zugewiesene Aufgabenkreise kennt: Vertretung, Geschäftsführung und Kontrolle:

 

 

Andere Organaufgaben sind dem Aktienrecht fremd. Ein Umkehrschluß aus § 111 Abs. 4 S. 1 AktG ist somit unergiebig, da es neben der dem Vorstand zugewiesenen Geschäftsführung und der dem Aufsichtsrat obliegenden Kontrolle andere Aufgaben, die dem Aufsichtsrat möglicherweise zu übertragen wären, schlichtweg gar nicht gibt (abgesehen von der Vertretung, die aber in § 112 AktG speziell geregelt ist). Entweder ist die Beratung des Vorstandes Teil der Kontrolle, dann unterfällt sie § 111 Abs. 1 AktG, oder sie ist es nicht, dann ist sie zwingend dem Bereich der Geschäftsführung zuzuordnen und unterliegt dem Geschäftsführungsverbot des § 111 Abs. 4 S. 1 AktG.

 

  

3. ERGEBNIS:

 

Die Eingrenzung der Beratungsaufgabe muß sich an den gesetzlichen Begriffen der Kontrolle und Geschäftsführung in § 111 AktG orientieren. Für eine eigenständige Beratungsaufgabe außerhalb des gesetzlichen Systems ist kein Raum.

 

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1 GroßKomm-Meyer-Landrut § 95 AktG Anm. 1 a.E.; zustimmend Rowedder-Rittner GmbHG Einl. Rdnr. 219.

2 Deckert, DieAG 1997 S. 111; zwar meint z.B. Geßler (in: Geßler-Geßler § 111 AktG Rdnr. 5, 6), daß § 111 AktG unvollständig sei, verweist ergänzend aber ausschließlich auf die ausdrücklich im Gesetz in anderen Vorschriften erwähnten zusätzlichen Aufgaben.

3 BGH ZIP 1991 S. 653 ff.

4Wie auch Meyer-Landrut in: GroßKomm § 95 AktG Anm. 1 a.E. selbst zugibt.

5 Für die oHG/KG allerdings str., Palandt-Bassenge § 854 Anm. 6c.

6 Palandt-Bassenge § 854 Anm. 5b.

7 BGH WM 1997 S. 1210.

8 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre S. 368 .

9 Vgl. Larenz, Methodenlehre S. 370.

10 Vgl. Larenz, Methodenlehre S. 372.

11 Müller, Jur. Methodik 320.4.

12 Vgl. Pawlowski, Methodenlehre Rdnr. 489.

13 Siehe Geßler-Geßler § 111 AktG Rdnr. 7: zwei Globalbegriffe Geschäftsführung und Überwachung.

 

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