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Kapitel 6

 

Ausgestaltung der Beratungsaufgabe

 

 

Ist nunmehr die inhaltliche Reichweite der Beratungsaufgabe im Rahmen des § 111 Abs. 1 AktG dahingehend definiert, daß die Beratung nur die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung umfaßt und insoweit auf das Unternehmensinteresse unter Inkaufnahme eines gewissen Beurteilungsspielraumes fixiert ist, so stellt sich die weitere Frage, wie diese so umrissene Beratung konkret auszugestalten ist:

 

Besteht im Rahmen des § 111 AktG ein bloßes Beratungsrecht auf quasi freiwilliger Basis oder eine Beratungspflicht?1 (nachflg. Nr. 1)

 

Welchen Einfluß auf die Beratungsbefugnis hat eine evt. Anfrage des Vorstandes? (nachflg. Nr. 2)

 

Dürfen die Aufsichtsratsmitglieder als "Dritte" außerhalb ihrer gesetzlichen Kontrolltätigkeit auf "privater Basis" beraten? (nachflg. Nr. 3)

 

 

1. BeratungsRECHT oder BeratungsPFLICHT ?

 

I. Im Rahmen der gesetzlichen Überwachungspflicht

 

a.) Ausgangspunkt ist die oben entwickelte Erkenntnis, daß die Beratung kein eigenständiges Rechtsinstitut ist, sondern Teil der gesetzlichen Überwachungsaufgabe gemäß § 111 Abs. 1 AktG bzw. "Annexaufgabe" zu den speziellen Befugnissen. Die gesetzliche Überwachung als solche ist eine Pflichtaufgabe. Die Beratung des Vorstandes ist somit ein Instrument des Aufsichtsrates im Rahmen der Erfüllung einer Pflichtaufgabe.

 

 b.) Während dem Aufsichtsrat bei der Ausübung der Pflichtaufgabe "Überwachung" hinsichtlich des "OB" von vornherein kein Ermessen zustehen kann (§ 111 Abs. 1 AktG: "hat" zu überwachen), ist hinsichtlich des "WIE" grundsätzlich ein sog. Auswahlermessen anzuerkennen. Der Aufsichtsrat hat die Möglichkeit, seiner Überwachungs- und Kontrollpflicht durch verschiedene Maßnahmen nachzukommen. So steht z.B. die Anordnung eines ad-hoc Zustimmungsvorbehaltes im Ermessen des Vorstandes; er kann seine Kontrollpflicht auch auf andere Weise erfüllen. Dem Aufsichtsrat steht es grundsätzlich frei, welche der ihm zustehenden Mittel er zur Ausübung seiner Überwachungsaufgabe wählt, wenn nicht ausnahmsweise eine Ermessensschrumpfung auf Null stattfindet2 (siehe dazu oben Kap. 3 Nr. 2 III b bb C).

 

Allerdings ist dieses Ermessen nicht ohne Grenzen. Insbesondere ist Bestrebungen entgegenzuwirken, das Auswahlermessen nach den im Verwaltungsrecht entwickelten Grundsätzen zu behandeln, wie dies das OLG Düsseldorf in einer neueren Entscheidung vertritt3. Anders als Verwaltungsrecht geht es im Gesellschaftsrecht nicht um die Unterordnung von Rechtssubjekten unter eine höherrangige (meist staatliche) Gewalt, die aufgrund zahlreicher Allgemeinwohlerwägungen flexible Entscheidungen erfordert. Der Aufsichtsrat ist bei der Ausübung seines Ermessens streng auf die Interessen der Aktionäre und das Unternehmensinteresse fixiert4. Eine Entscheidung, die diesen Interessen in irgendeiner Weise zuwiderläuft, ist stets ermessensfehlerhaft. Das Unternehmensinteresse kann nicht im Rahmen einer Abwägung überwunden werden. Ein Ermessen kann daher allenfalls dann zur Verfügung stehen, wenn mehrere die Unternehmensinteressen gleich wirksam verteidigende Maßnahmen zur Verfügung stehen. Wenn eine geplante Maßnahme von erheblichem Gewicht rechtswidrig erscheint, muß der Aufsichtsrat diese verhindern. Er kann allenfalls zwischen solchen Mitteln wählen, die jeweils in gleicher Weise geeignet sind, den Vollzug der rechtswidrigen Maßnahme zu verhindern. Anders als dem Vorstand steht dem Aufsichtsrat eben nicht die unternehmerische Freiheit der Leitung des Unternehmens zu.

 

In dieses System eines sehr beschränkten Auswahlermessens ist auch die Beratung einzuordnen.

 

Wenn eine bevorstehende Geschäftsführungsmaßnahme des Vorstandes zu verhindern ist und der Vorstand für seine Hartnäckigkeit bekannt ist, d.h. "Gefahr im Verzug" ist, wird sich die Beratung kaum als ermessensfehlerfreie, ausreichende Überwachungsmaßnahme darstellen. Dann muß der Aufsichtsrat sicher gehen und z.B. sofort einen ad-hoc Zustimmungsvorbehalt anordnen5. Selbstverständlich kann der Aufsichtsrat in einem solchen Fall flankierend beraten, etwa indem er die Rechtswidrigkeit der Maßnahme erläutert. Eine solche Erläuterungspflicht ist ohnehin in aller Regel zu bejahen, damit der Vorstand die Gründe für die Aufsichtsmaßnahme erkennen und sich darauf einstellen kann. Ob der Aufsichtsrat darüber hinaus dem Vorstand rechtlich zulässige Handlungsmöglichkeiten aufzeigt, steht in seinem Ermessen.

 

Steht dagegen bis zum Vollzug der geplanten rechtswidrigen Geschäftsführungsmaßnahme noch genügend Zeit zur Verfügung und/oder ist der Vorstand für seine Besonnenheit bekannt, d.h. ist zu erwarten, daß er die Maßnahme nach einem beratenden Hinweis zumindest bis zu einer endgültigen Klärung aussetzen wird, so ist eine Beratung jedenfalls zunächst als hinreichende, ermessensfehlerfreie Maßnahme anzusehen. Man wird sie in diesem Fall möglicherweise sogar als die einzig zulässige Kontrollmaßnahme ansehen müssen, da ein sofortiger Zustimmungsvorbehalt eine überzogene Maßnahme darstellt, die zur Erreichung ihres Zwecks zunächst nicht erforderlich ist. Dies ist eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den der Aufsichtsrat insoweit zu beachten hat, da jede Überwachung ein Eingriff in die den Vorstand gem. § 76 Abs. 1 AktG garantierte Eigenverantwortlichkeit ist. Die Beratung im Vorfeld anderer Maßnahmen ist grundsätzlich als mildes, vorzugswürdiges Mittel anzusehen.

 

 Lutter/Krieger6 unternehmen noch eine andere Abstufung: bestünden nur Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Handelns des Vorstandes, so genüge der Aufsichtsrat seinem Auftrag auch durch eine formlose Erörterung mit dem Vorstand. Damit möchten Lutter/Krieger offensichtlich zwischen Recht- und Zweckmäßigkeit der geplanten Geschäftsführungsmaßnahme unterscheiden.

 

Diese Unterscheidung ist nach der hier vertretenen These, daß der Aufsichtsrat nur die Rechtmäßigkeit des Vorstandshandelns überwacht, obsolet. Allerdings steht nach der hier vertretenen Ansicht dem Aufsichtsrat bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, in dessen Rahmen eine ähnliche Abstufung relevant werden kann. Bewegt sich die jeweilige Maßnahme des Vorstandes im Bereich des Beurteilungsspielraumes, hat der Aufsichtsrat die Wahl, die Geschäftsführungsmaßnahme entweder der Zweckmäßigkeit zuzuordnen und nicht einzuschreiten oder der Rechtmäßigkeit zu unterstellen und die Kontrollaufgabe zu eröffnen; dann muß ihm aber auch erst recht ein Mittelweg offenstehen (a majore ad minus): nämlich die geplante Maßnahme zwar als Rechtmäßigkeitsfrage einzustufen (um die Kontrollbefugnis zu eröffnen), aber die Kontrollintensität auf erläuternde und beratende Hinweise zu beschränken, auch wenn dadurch die Geschäftsführungsmaßnahme u.U. nicht mit letzter Sicherheit zu verhindern ist. Es kommt eine Art abgestufte Überwachungspflicht zum Tragen:

 

Dort, wo die Geschäftsführungsmaßnahme rechtswidrig ist, ohne daß der Beurteilungsspielraum eröffnet ist, muß der Aufsichtsrat die Maßnahme nach Möglichkeit verhindern.

 

Liegt dagegen ein Grenzfall vor, in dem der Beurteilungsspielraum eröffnet ist, kann er die Maßnahme verhindern, sich auf ein beratendes Eingreifen beschränken oder überhaupt nicht reagieren.

 

 

c.) Zu beachten ist, daß BERATUNGSVERTRÄGE, soweit sie sich auf die gesetzliche Pflichtaufgabe der Überwachung beziehen, nichtig sind. Dies folgt aus § 114 AktG, demgemäß Verträge mit Aufsichtsratsmitgliedern außerhalb der Tätigkeit des Aufsichtsrates der Zustimmung des Aufsichtsrates bedürfen. Daraus ergibt sich mittelbar, daß Verträge, die inhaltlich die Aufsichtsratstätigkeit betreffen, überhaupt nicht statthaft sind, da sie eine gegen § 113 AktG verstoßende Sondervergütung gewähren würden. Diesbezügliche Verträge sind daher wegen Umgehung des § 113 AktG gemäß § 134 BGB nichtig7. Es ist dem Aufsichtsratsmitglied verwehrt, seine organschaftlichen Verpflichtungen "auf eigene Faust" gegen zusätzliche Vergütung im Wege eines Beratungsvertrages zu besorgen. Der Aufgabenzuweisung des § 111 AktG kommt in ihrem Umfang Sperrwirkung zu.

 

Daran ändert sich auch nichts unter dem Gesichtspunkt, daß die gesetzliche Beratungspflicht aufgrund des § 111 Abs. 1 AktG das Gesamtorgan trifft, während Vertragspartner eines Beratungsvertrages in aller Regel ein einzelnes Aufsichtsratsmitglied ist.

 

Allerdings kann insoweit die Begründung des BGH in seinem Grundsatzurteil über Beraterverträge8 nicht überzeugen, in dem das Gericht darlegt, daß zwar die gesetzlichen Befugnisse grundsätzlich dem Aufsichtsrat als Gesamtorgan zustünden, aber die der Ausübung dieser Befugnisse korrespondierenden Organpflichten dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied oblägen. Damit übersieht der BGH, daß diese Organpflichten des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds nur in der Mitwirkung an entsprechenden Aufsichtsratsmaßnahmen bestehen, so daß der Ausgangspunkt der Vorinstanz, der Gegenstand des Beratungsvertrages sei mit den Aufsichtsratsaufgaben nicht identisch, durchaus zutreffend war, da im Rahmen des § 111 AktG dem Aufsichtsratsmitglied die Mitwirkung bei Beratungsmaßnahmen obliegt, während es bei Beraterverträgen dazu berufen ist, die Beratung selbst vorzunehmen.

 

Aber auch bei dieser Betrachtungsweise kann hinsichtlich der Wirksamkeit von Beratungsverträgen mit einzelnen Aufsichtsratsmitgliedern nichts anderes gelten. Die Mitwirkung an Aufsichtsratsmaßnahmen ist lediglich eine Vorstufe des Aufsichtsratsbeschlusses. Wer verpflichtet ist, in bestimmter gesetzlicher Weise an dem Endprodukt "Aufsichtsratsbeschluß" mitzuwirken, kann sich nicht verpflichten, das Endprodukt in Eigenregie gegen besondere Vergütung selbst zu liefern. Dadurch würde nämlich nicht nur § 113 AktG umgangen, sondern auch das zwingend (§ 23 Abs. 5 AktG) gesetzlich festgelegte Beschlußsystem des § 108 Abs. 1 AktG. Das einzelne Aufsichtsratsmitglied würde sich im Wege eines Vertrages Kompetenzen anmaßen, die ihm aufgrund des gesetzlichen Regelungssystems, welches das einzelne Mitglied auf eine mitwirkende Tätigkeit beschränkt, eben gerade nicht zustehen.

 

 

II. Beratung außerhalb der gesetzlichen Überwachung

 

Kommt der Aufsichtsrat nach der Ausübung seines Beurteilungsspielraumes zu der Auffassung, daß lediglich die Zweckmäßigkeit des Vorstandshandelns betroffen, steht er am Ende seiner Pflichtaufgabe aus § 111 Abs. 1 AktG. Eine gesetzliche Pflicht zur Beratung kann hier von vornherein nicht bestehen.

 

Fraglich ist hier aber, ob dem Aufsichtsrat jenseits der gesetzlichen Überwachungspflicht wenigstens ein BeratungsRECHT zusteht. Die Literatur nimmt z.T. an, daß der Aufsichtsrat zumindest freiwillig in jeder Hinsicht unabhängig von der gesetzlichen Aufgabenzuweisung dem Vorstand beratende Hinweise geben könne. Dabei wird v.a. auf die Unverbindlichkeit dieser Beratung verwiesen, wodurch ein unzulässiger Eingriff in die Geschäftsführung vermieden werde. Am deutlichsten in diese Richtung geht Semler10: Aufsichtsrat könne den Vorstand in allen Fragen beraten, dürfe aber nach seinem Ermessen auch von einer Stellungnahme absehen. Dem Aufsichtsrat seien damit auch Beratungsmöglichkeiten bei der Vorbereitung und Durchführung der originären unternehmerischen Führungsfunktionen (!) gegeben. Diese Ansicht ist um so weitergehender, wenn man berücksichtigt, daß Semler entgegen der hier vertretenen Auffassung bereits die gesetzliche Überwachung nach § 111 Abs. 1 AktG ohnehin umfassend auch auf die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung bezieht11 und somit in letzter Konsequenz ein völlig unbeschränktes Beratungsrecht annimmt.

 

Es sind aber auch Stimmen in der Literatur vorhanden, die demgegenüber hinsichtlich der bloßen Berechtigung des Aufsichtsrates zu beratenden Stellungnahmen außerhalb des gesetzlichen Überwachungsbereichs Bedenken äußern. Zwar könne bei formaler Betrachtungsweise kein Verstoß gegen das Eigenverantwortlichkeitsprinzip des § 76 Abs. 1 AktG gesehen werden, wenn der Aufsichtsrat außerhalb des Überwachungsbereichs unverbindlich Stellung nimmt, da der Vorstand dann ja nicht verpflichtet sei, den Wünschen des Aufsichtsrates zu folgen12. Allerdings könnten ständige Einmischungen des Aufsichtsrates in den Tätigkeitsbereich des Vorstandes dazu führen, daß dieser sich unablässig kontrolliert und damit eingeengt fühle, was negative Auswirkungen auf seine unternehmerische Entscheidungsfreudigkeit haben müsse13. Solle der Vorstand die Aktiengesellschaft eigenverantwortlich leiten, gelte es, ihn vor ständigen, auch unverbindlichen Einmischungen in seinen Tätigkeitsbereich zu schützen14.

 

Dem ist zuzustimmen. V.a. in Grenzbereichen wird es dem Vorstand von vornherein überhaupt nicht erkennbar sein, ob die Beratung durch den Aufsichtsrat noch im Rahmen des § 111 Abs. 1 AktG liegt (und damit eine unbedingte Beachtungspflicht des Vorstandes nach sich zieht) oder lediglich unverbindlich außerhalb der Überwachung steht. Um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein, einen überwachenden Hinweis des Aufsichtsrates zu übergehen, wird der Vorstand in einem ersten Schritt verpflichtet sein zu prüfen, ob sich der Hinweis innerhalb oder außerhalb des gesetzlichen Überwachungsbereichs bewegt, d.h auf die Rechtmäßigkeit (dann nach der hier vertretenen Ansicht Beachtenspflicht) oder die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung bezieht. Diese Prüfung wird für den Vorstand oft zeitaufwendig und schwierig, aufgrund des Beurteilungsspielraumes des Aufsichtsrates geradezu unmöglich sein. Man würde dem Vorstand deshalb letztlich die Pflicht aufbürden, die Reichweite der Kompetenzen des ihn kontrollierenden Organs zu bestimmen. Dies kann ersichtlich nicht seine Aufgabe sein.

 

Als Ausweg mag sich anbieten, dem Aufsichtsrat die Pflicht aufzuerlegen, bei beratenden Hinweisen dem Vorstand jeweils zu erklären, ob er innerhalb oder außerhalb seiner gesetzlichen Kontrollfunktion handelt, etwa durch den Hinweis: "Dies ist ein unverbindlicher Hinweis". Hier wäre aber zum einen dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet. Zum anderen wird dadurch aber v.a. nicht der von Steinbeck16 geäußerten Gefahr vorgebeugt, daß sich der Vorstand durch ständige Einmischungen des Aufsichtsrates in seine Tätigkeit in seiner Entscheidungsfreudigkeit eingeengt fühlen und dazu übergehen könnte, einfach blind den Ratschlägen des Aufsichtsrates zu folgen. Damit würde er sich aber selbst einer Pflichtverletzung schuldig machen (§ 93 Abs. 1 S. 1 AktG). Dem Recht zur eigenverantwortlichen Geschäftsführung steht nämlich auch eine diesbezügliche Pflicht gegenüber ("hat" zu leiten), ähnlich wie der Aufsichtsrat seine Aufgaben nicht delegieren kann (vgl. §§ 111 Abs. 5, 108 Abs. 3 AktG), ist auch der Vorstand nicht befugt, die Geschäftsführung als solche auf andere zu übertragen16. Folgt der Vorstand aber Ratschlägen eines nicht zuständigen Organs, ohne sein eigenes Ermessen und seine eigenen Wertungen den Geschäftsführungsentscheidungen zugrunde zu legen, so kommt er seiner Geschäftsführungspflicht nicht adäquat nach. Richtigerweise sollte der Vorstand in der Regel keine Veranlassung haben, dem Rat des Aufsichtsrates mißtrauisch gegenüberzustehen17. Dies ist aber nur dann möglich, wenn der Vorstand nicht ständig damit rechnen muß, Ratschläge zu erhalten, die sich außerhalb der eigentlichen Aufsichtsratsangelegenheiten bewegen. Solange sich der Aufsichtsrat innerhalb seiner gesetzlichen Kontrollfunktion hält, darf der Vorstand grundsätzlich auf die Richtigkeit der Aufsichtsratsmaßnahmen vertrauen; obwohl gem. § 93 Abs. 4 S. 2 AktG eine entsprechende Aufsichtsratsmaßnahme die Haftung des Vorstandes zwar nicht ausschließt, wird man aber bei der Beurteilung einer Pflichtverletzung durch den Vorstand eine entsprechende Maßnahme des Aufsichtsrates durchaus berücksichtigen müssen18. Außerhalb des Überwachungsbereichs muß dagegen ein Hinweis des Vorstandes auf eine zugrundeliegende Beratung durch den Aufsichtsrat im Haftungsprozeß von vornherein ausgeschlossen sein19.

 

Damit würde selbst ein bloßes Beratungsrecht des Aufsichtsrates außerhalb der Überwachungsaufgabe des § 111 Abs. 1 AktG zu folgenden untragbaren Ergebnissen führen:

 

(a) Zumindest faktische Beeinträchtigung der Eigenverantwortlichkeit des Vorstandes.

 

(b) Dem Vorstand würden unzumutbare Prüfungspflichten auferlegt, inwieweit sich Aufsichtsratsratschläge noch im im Bereich der gesetzlichen Überwachung bewegen und damit eine Beachtenspflicht nach sich ziehen.

 

(c) Es besteht die Gefahr der Sphärenvermischung zwischen Aufgaben des Vorstandes und Aufsichtsrates.

 

 

2. Beratung auf ANFRAGE des Vorstandes ?

 

Fraglich ist, ob die Aufgabenbeschränkung hinsichtlich der Beratung dadurch durchbrochen werden kann, daß der Vorstand eine konkrete Anfrage an den Aufsichtsrat richtet, in der er Beratung hinsichtlich bestimmter Angelegenheiten der Gesellschaft anfordert. In der Literatur wird vertreten, daß die Beratung "vornehmlich" dort zu leisten sei, wo der Vorstand den Aufsichtsrat um dessen Rat bittet20.

 

 

I. Anfrage im Rahmen der Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung

 

a.) Sofern die Anfrage des Vorstandes ausschließlich die Rechtmäßigkeit von bestimmten Maßnahmen betrifft ist, hat der Aufsichtsrat der Bitte um Beratung grundsätzlich nachzukommen. Die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung ist ja Gegenstand der gesetzlichen Überwachungspflicht gem. § 111 Abs. 1 AktG, die der Aufsichtsrat ohnehin selbständig zu erfüllen hat. Eine entsprechende Anfrage des Vorstandes kann hier von vornherein keine "konstitutive" Wirkung entfalten. Sie ist insoweit nicht mehr als ein Hinweis oder eine Anregung. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang aber, daß der Vorstand durch eine entsprechende Anfrage nicht der Pflicht entbunden ist, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme selbst umfassend zu prüfen (vgl. § 93 Abs. 4 S. 2 AktG). Hat der Aufsichtsrat Anlaß zu der Annahme, daß sich der Vorstand durch ständige Anfragen seiner eigenen Prüfungspflicht entziehen und Arbeit auf den Aufsichtsrat abwälzen möchte, kann er von der Beratung selbstverständlich Abstand nehmen und den Vorstand auf dessen eigene Pflichten verweisen.

 

 

b.) Allerdings kann einer Anfrage durch den Vorstand in Ausnahmefällen auch im gesetzlichen Überwachungsbereich eine gewisse Wirkung zukommen:

 

 

 

 

 

II. Anfrage außerhalb der gesetzlichen Pflichtaufgaben

 

Weiter stellt sich das Problem, ob die Anfrage des Vorstandes das Verbot der Beratung außerhalb der gesetzlichen Kontrollaufgabe (siehe oben Nr. 1 II) durchbrechen kann.

 

Auch dies ist zu verneinen. Die §§ 76 Abs. 1, 111 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 AktG sind formale Kompetenz- und Zuständigkeitsvorschriften21, welche die Sphären der beiden Organe gegeneinander abgrenzen. Solche Kompetenzabgrenzungen stehen nicht zur Disposition der Organe. Nicht einmal durch Satzung können die Zuständigkeiten zwischen Vorstand und Aufsichtsrat abweichend bestimmt werden (§§ 23 Abs. 5, 111 Abs. 4 S. 1 AktG)22. Flexibilität ermöglichen insoweit alleine die Zustimmungspflichten gemäß § 111 Abs. 4 S. 2 AktG, die aber abschließend sind und ihrerseits nur eine Einflußnahme des Aufsichtsrates auf die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung ermöglichen (siehe oben Kap. 3 Nr. 2 III b).

 

 

3. Beratung durch Aufsichtsratsmitglieder als DRITTE außerhalb der gesetzlichen Aufsichtsratstätigkeit - BERATUNGSVERTRÄGE

 

Ist somit festgestellt, daß der Aufsichtsrat in seiner Eigenschaft als Überwachungsorgan über die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung hinaus weder freiwillig noch auf Anfrage des Vorstandes zur Beratung befugt ist, stellt sich weiter die Frage, ob einzelne Aufsichtsratsmitglieder "privat" außerhalb ihrer organschaftlichen Tätigkeit den Vorstand (sozusagen "am Biertisch") beraten dürfen. "Wer kann es mit verbieten, mich mit dem Vorstand zu treffen, um ihm Ratschläge zu erteilen und über die Geschäftsführung zu diskutieren", wird sich so manches Aufsichtsratsmitglied fragen. Während obige Fragestellung (unter Nr. 1) lautete, ob der Aufsichtsrat in seiner Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied über die gesetzlichen Pflichtaufgaben hinaus freiwillig beraten darf, stellt sich nunmehr das Problem, ob es einem Mitglied des Aufsichtsrates gestattet ist, der Aktiengesellschaft als Dritter außerhalb seines organschaftlichen Rechtsverhältnisses gegenüberzutreten und Der den Vorstand zu beraten.

 

Grundsätzlich ist anerkannt, daß Vertreter eines Organs zur Gesellschaft in Drittbeziehungen treten können. So bleibt es z.B. dem Aufsichtsratsmitglied einer Kaufhaus-Aktiengesellschaft unbenommen, dort einzukaufen. Auf den ersten Blick scheint es, als sei es nicht anders zu beurteilen, wenn das Aufsichtsratsmitglied außerhalb seiner organschaftlichen Tätigkeit gewissermaßen als Sachverständiger des Vorstandes fungiert. In der Praxis wird dies meist mit einem BERATERVERTRAG verbunden.

 

a.) Zunächst ist festzuhalten, daß im Rahmen von Drittbeziehungen alleine eine Beratungstätigkeit der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder eine Rolle spielen kann, niemals des Gesamtorgans. Es ist ausgeschlossen, daß das Organ als solches zur Gesellschaft in Drittbeziehungen tritt. Das Aufsichtsratsgremium ist ein rechtliches Gebilde, das außerhalb der Organaufgaben keinerlei rechtliche Wirksamkeit entfaltet. Wollten alle Aufsichtsratsmitglieder gemeinsam als Dritte den Vorstand im Wege eines Beratervertrages beraten, so müßten sie sich gemeinschaftlich verpflichten, als echte oder unechte Gesamtschuldner. Sie handeln dann als solche, aber niemals als Organ.

 

b.) Die Rechtsprechung hat eine freiwillige Beratung des Vorstandes durch einzelne Aufsichtsratsmitglieder außerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs zugelassen und entsprechenden Beraterverträgen nach Zustimmung durch den Gesamtaufsichtsrat gem. § 114 Abs. 1 AktG Wirksamkeit bescheinigt, während Verträge über Beratungsgegenstände innerhalb der Organaufgaben des Aufsichtsrates der Regelung des § 113 AktG unterliegen und gem. §§ 113 AktG, 134 BGB nichtig sind23. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Rechtsprechung die von § 111 Abs. 1 AktG umfaßte gesetzliche Beratungsaufgabe entsprechend der h.M. wesentlich weiter faßt als die hier vertretene Auffassung. Der BGH sieht auch die Beratung hinsichtlich Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit von § 111 AktG umfaßt24. Demgemäß hat er als außerhalb des § 111 Abs. 1 AktG liegende Beratungsverträge nur solche mit Bezug zu Fragen eines "besonderen Fachgebietes" zugelassen, mit denen sich der Aufsichtsrat wegen der besonderen Spezialität im Rahmen der gesetzlichen Überwachung nicht zu befassen habe25. Als Beispiel hat das OLG Köln26 einen Beratervertrag auf dem Gebiet der Datenverarbeitung gebilligt.27

 

Überträgt man diese Rechtsprechung auf die hier vertretene Ansicht, daß die Beratung der Geschäftsführung in Zweckmäßigkeitsfragen außerhalb des § 111 AktG liegt, so müßten eigentlich alle über die Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung hinausgehenden Beraterverträge nach Genehmigung gemäß § 114 AktG wirksam sein, da sie insoweit mit der gesetzlichen Aufgabenzuweisung des Aufsichtsrates nicht in Konflikt geraten.

 

c.) Dies muß jedoch einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.

 

(1) Zum einen ist zu beachten, daß solche Fragen, die der Aufsichtsrat aufgrund seines Beurteilungsspielraumes sowohl der Rechtmäßigkeit wie auch der Zweckmäßigkeit zuordnen kann, von vornherein nicht zum Gegenstand eines Beratervertrages gemacht werden können: die Ausübung des hier postulierten Beurteilungs"ermessens" ist nämlich selbst Gegenstand der gesetzlichen Überwachungstätigkeit. Der Aufsichtsrat bzw. das Aufsichtsratsmitglied würde sich aber dieses Beurteilungsspielraumes entledigen, wenn es Fragen, die innerhalb des Beurteilungsspielraumes liegen, von vornherein zum Gegenstand eines Beratungsvertrages machen und damit implizit dem außerhalb des § 111 AktG liegenden Bereich zuordnen würde. Insoweit unterfallen Beraterverträge also bereits der oben (Nr. 1 I c) eines entwickelten Regel, daß sie insoweit nichtig sind, als sie gesetzliche Kontrollaufgaben umfassen.

 

(2) Zum anderen stößt die Abgrenzung von Ratschlägen, die noch im Rahmen der Rechtmäßigkeit liegen, von solchen, die schon die Zweckmäßigkeit betreffen, auf große praktische Schwierigkeiten, ja dürfte sich einer vertraglichen ex-ante Festlegung überhaupt entziehen28. Generelle Klauseln, wie etwa "Gegenstand des Vertrages ist die Beratung des Vorstandes auf dem Gebiet der Finanzpolitik auf dem Gebiete der Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung", wären zur Abgrenzung untauglich, da der Vertrag eindeutige Feststellungen darüber ermöglichen muß, ob die zu erbringende Leistung außerhalb oder innerhalb organschaftlicher Pflichten liegt, damit der Aufsichtsrat beim Zustimmungsverfahren des § 114 Abs. 1 AktG sich überzeugen kann, daß keine verdeckte Sonderzuwendung vorliegt (Transparenzgebot) 29.

 

(3) Aber selbst wenn man diese Bedenken beiseite schieben möchte, ist auch die grundlegende Aussage der Rechtsprechung, daß eine außerhalb des § 111 Abs. 1 AktG liegende Beratung Gegenstand eines Vertrages mit dem Aufsichtsratsmitglied sein kann, höchst zweifelhaft.

 

Wie oben bereits angesprochen, bleibt es zwar an sich jedem Organmitglied unbenommen, außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat zur Aktiengesellschaft in Drittbeziehungen zu treten, und zwar auch in Form von Dienstverträgen, wie § 114 Abs. 1 AktG zum Ausdruck bringt.

 

Auf der anderen Seite ist aber in der Rechtsprechung als eine Art allgemeiner Rechtsgrundsatz auch anerkannt, daß organschaftliche Rechtsbeziehungen einschränkende Wirkungen auf Drittbeziehungen haben können. Z.B. kann ein geschäftsführender Gesellschafter einer oHG/KG der Gesellschaft zwar als Dritter gegenübertreten; er kann sich aber bei Beschränkungen der Vertretungsmacht aufgrund des Innenverhältnisses nicht auf die Vorschrift des § 126 Abs. 2 HGB (Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gegenüber Dritten) berufen, da er auch als Vertragspartner in Drittbeziehungen eben kein Dritter im Sinne des § 126 Abs. 2 HGB ist30. Eine ähnliche Annahme liegt der BAG-Rechtsprechung zu § 11 Abs. 1 S. 2 ArbGG zugrunde. Zwar betrifft diese Vorschrift keine organschaftlichen Rechtsstellungen, der Rechtsgedanke ist aber ähnlich: unter § 11 Abs. 1 S. 2 fallende Personen (Gewerkschafts- oder Arbeitgeberverbandsvertreter) sind zur Prozeßvertretung nur unter den dortigen Voraussetzungen ermächtigt (Vollmacht kraft Satzung). Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, ist z.B. die Partei nicht Mitglied des Verbandes, dem der Vertreter angehört, so sind diese Personen von der Prozeßvertretung generell ausgeschlossen; sie können sich nicht wie jede andere dritte Person Vertretungsmacht von der Prozeßpartei erteilen lassen; § 11 Abs. 1 S. 1 ArbGG gilt für sie nicht31, es liegt insoweit ein Vertretungsverbot vor.

 

Diese Beispiele zeigen, daß bestimmte Rechtsstellungen auch auf Drittbeziehungen außerhalb dieser Rechtsbeziehungen "durchschlagen" können.

 

Dies ist auch bei der hier vorliegenden Problematik der Fall: der organschaftlichen Stellung des Aufsichtsratsmitgliedes kommt Ausschließlichkeitsfunktion zu. Als wesentlicher Grund für die Beschränkung der gesetzlichen Überwachungsfunktion auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung wurde oben (siehe v.a. Kap. 4 Nr. 2 II b A) die Stellung des Aufsichtsrates als vom Vorstand unabhängiges Hilfsorgan der Hauptversammlung unter möglichst effektivem Ausschluß von Interessenkonflikten herausgearbeitet. Diese würde obsolet, wäre es dem Aufsichtsratsmitglied gestattet, in Form von Drittbeziehungen sich diejenigen Kompetenzen anzueignen, die ihm das Gesetz im Hinblick auf eine effektive Kontrolle und zum Zwecke des Ausschlusses von Interessenkonflikten gerade versagt. Aus der organschaftlichen Stellung fließt die Pflicht für das Aufsichtsratsmitglied, alles zu unterlassen, was seine organschaftlichen Pflichten gefährden könnte. Dazu gehört auch, daß sich das Aufsichtsratsmitglied nicht durch Beraterverträge derart in die Geschäftsführung einmischt, daß seine Unbefangenheit bezüglich der eigentlichen Kontrollaufgabe auf dem Spiel steht. Ob dabei im Einzelfall bezogen auf das jeweilige Aufsichtsratsmitglied tatsächlich Interessenkonflikte oder eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit von der Geschäftsführung zu besorgen ist, muß dabei außer Betracht bleiben. Es ist eine abstrakte, typisierende Betrachtungsweise angebracht. § 111 Abs. 1 AktG kann insofern als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB gesehen werden32. Bereits durch den Abschluß des Beratervertrages verletzt demnach das Aufsichtsratsmitglied seine organschaftliche einen Pflichten gegenüber der Aktiengesellschaft (§§ 116, 93 Abs. 1, 2 AktG), da er sich zur Erbringung von mit seiner organschaftlichen Stellung nicht zu vereinbarenden Leistungen verpflichtet.

 

Diese Ansicht steht auch nicht in Widerspruch zu § 114 AktG, der ja an sich Dienstverträge in Form von Drittbeziehungen zuläßt. Insoweit ist das Tatbestandsmerkmal "außerhalb seiner Tätigkeit im Aufsichtsrat" eng auszulegen. Außerhalb der Tätigkeit im Aufsichtsrat liegen nur solche Tätigkeiten, die zu den gesetzlichen Aufsichtsratsaufgaben in keinerlei, auch mittelbarem Zusammenhang liegen. Normziel der §§ 113, 114 AktG ist es, das duale Verwaltungssystem der Aktiengesellschaft mit unabhängigen geschäftsführenden und kontrollierenden Organen zu schützen. Deshalb ist die Bestimmung der Aufsichtsratsvergütung nicht dem Vorstand, sondern der Hauptversammlung überlassen, um ein kollusives Zusammenwirken der beiden Organe zu verhindern33. Dieses Ziel würde umgangen, wenn der Aufsichtsrat sich über Beratungsverträge an den Mitteln der Gesellschaft unter Ausschluß der Hauptversammlung unkontrolliert bedienen könnte. Wenn z.T. vertreten wird, Zweck des § 114 Abs. 1 AktG sei es, den Aufsichtsrat zu einer Kontrollinstanz für die Vergütung seiner eigenen Mitglieder zu machen34, so sollte man diesen sog. "Kontroll"spielraum möglichst gering halten, um die Gesellschaft nicht zum Selbstbedienungsladen für Aufsichtsräte zu machen. § 114 Abs. 1 AktG ist einer möglichst engen Auslegung zuzuführen.

  

Im Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß eine Beratung des Vorstandes außerhalb der Rechtmäßigkeit der Geschäftsführung auch nicht auf freiwilliger Basis oder auf Anfrage des Vorstandes möglich ist. Entsprechende Beraterverträge sind nichtig.

  

 

4. Bildung eines Beratungsausschusses?

 

Aufsichtsratsausschüsse erfreuen sich großer Beliebtheit. Bei rd. ¾ der deutschen Aktiengesellschaften soll wenigstens ein Ausschuß bestehen35. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit die Beratungsaufgabe auf einen Aufsichtsratsausschuß übertragen werden kann. Die Bildung eines (kleinen) Beratungsausschusses würde sich v.a. als Ausweg aus dem Problem anbieten, daß die Beratung (selbst in dem hier vertretenen Umfang) nicht völlig dem gesetzlich vorgesehenen Beschlußsystem zugänglich ist.

 

I. Anzahl der Ausschußmitglieder - Einmannausschuß ?

 

Dieses Problem könnte am besten durch einen Einmannausschuß gelöst werden, z.B. einen Ausschuß, der nur aus dem Aufsichtsratsvorsitzenden besteht, der in der Praxis die Last der Beratung ohnehin oft alleine trägt.

 

Die Bildung von Ausschüssen obliegt auch ohne ausdrückliche Satzungsbestimmung der Organisationsautonomie des Aufsichtsrates (siehe § 107 Abs. 3 S. 1 AktG), der in der zahlenmäßigen Zusammensetzung grundsätzlich frei ist36. Als Mindestanzahl ist nach ganz h.M. ein Ausschuß allerdings mit zwei Mitgliedern zu besetzen, da sonst begrifflich nicht mehr von einem Ausschuß gesprochen werden kann37.

 

Eine m.M. in der Literatur hält aber auch die Übertragung von Aufgaben auf einzelne Aufsichtsratsmitglieder außerhalb eines Ausschusses für möglich38. Dann liegt zwar kein Ausschuß im technischen Sinne vor, im Ergebnis kommt dies aber einem Einmannausschuß gleich.

 

Dieser Ansicht ist zwar zuzugeben, daß die Übertragung von Aufsichtsratspflichten auf einzelne Mitglieder nicht an § 111 Abs. 5 AktG scheitert, da dieses Delegationsverbot nur die den einzelnen Mitgliedern obliegenden Organpflichten betrifft, nicht aber die Aufgaben des Gesamtorgans. Dennoch ist eine Übertragung gesetzlicher Pflichten des Aufsichtsrates auf einzelne Mitglieder abzulehnen. Der gesetzlich angeordnete Grundsatz ist die Tätigkeit des Gesamtorgans (§ 108 AktG). Die Möglichkeit, gemäß § 107 Abs. 3 AktG Ausschüsse zu bilden, ist eine abschließende Ausnahmevorschrift von der gesetzlichen Regel. Eine darüber hinausgehende Aufgabendelegation auf einzelne Mitglieder ist abzulehnen.

 

 

II. Inhaltlicher Umfang der Delegierungsmöglichkeit auf einen Ausschuß

 

Fraglich ist, inwieweit die Beratung inhaltlich auf Ausschüsse delegierbar ist.

 

a.) Die Beratung der Geschäftsführung ist in dem Ausnahmekatalog des § 107 Abs. 3 S. 2 AktG nicht enthalten. Es besteht aber Einigkeit darüber, daß § 107 Abs. 3 S. 2 AktG zumindest insoweit nicht abschließend ist, als auch die Kontrollaufgabe aus § 111 Abs. 1 AktG als solche nicht auf Ausschüsse übertragen werden kann39, sondern allenfalls von Fall zu Fall einzelne Überwachungsaufgaben40.

 

Nun ist zwar die Beratung nicht die Überwachungsaufgabe des § 111 Abs. 1 AktG, sondern nur ein Ausschnitt derselben. Allerdings ist die Beratung nicht ein Ausschnitt in der Weise, daß ein bestimmter, sachlich abgegrenzter Bereich der Geschäftsführung erfaßt wird (wie etwa Personal-, Finanz-, Investitionsausschuß41). Vielmehr ist die Beratung Teil des Befugnissystems und umfaßt als Vorstufe weitergehender Kontrollmaßnahmen sachlich den gesamten Kontrollbereich. Die Beratung ist eine bestimmte Eingriffsstufe im System der Kontrollbefugnisse. Sie als solche auf einen Ausschuß zu übertragen, hieße, einen Teil des Fundaments der Rechtmäßigkeitskontrolle auf einen Ausschuß zu verlagern, was letztlich der Übertragung der Kontrolle als solcher auf einen Ausschuß gleichkäme. Eine ausschnittsweise Übertragung der Kontrolle auf Ausschüsse ist nur vertikal nach einzelnen Sachgebieten zulässig, nicht dagegen horizontal nach Eingriffsstufen. Aus diesem Grund ist die Bildung eines "Beratungsausschusses", der umfänglich für die Beratung des Vorstandes zuständig ist, nicht statthaft.

 

b.) Wird dagegen ein bestimmter, sachlich abgegrenzter Bereich der Kontrolle auf einen beschließenden Ausschuß (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG) übertragen (etwa Bildung eines Personalausschusses), so obliegt dem Ausschuß in dieser Hinsicht automatisch auch die Beratung als Teil der Kontrollbefugnisse. Der Personalausschuß hat dann in Personalfragen den Vorstand unter Ausschluß des Gesamtgremiums in der Reichweite der oben definierten Rechtmäßigkeit zu beraten, solange der Gesamtaufsichtsrat diese Aufgabe nicht wieder an sich zieht, was ihm jederzeit möglich ist42.

 

c.) Zu beachten ist ferner, daß, auch soweit die Übertragung eines bestimmten Sachgebietes auf einen Ausschuß zulässigerweise stattgefunden hat, bestimmte Befugnisse zur Beschlußfassung stets dem Gesamtaufsichtsrat vorbehalten bleiben, wie z.B. Zustimmungsvorbehalte (§ 107 Abs. 3 S. 2 AktG). Da die Beratung aber meist im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur Vorstufe zu weitergehenden Maßnahmen (wie eben z.B. einem Zustimmungsvorbehalt) ist, muß insofern stets eine Abstimmung zwischen Ausschuß und Gesamtorgan erfolgen. Der Ausschuß muß sich, bevor er den Vorstand im Wege beratender Hinweise auf die Rechtswidrigkeit einer geplanten Maßnahme aufmerksam macht, beim Gesamtgremium versichern, daß im Ernstfall die Beratung dann auch durch einen Zustimmungsvorbehalt getragen wird. Umgekehrt darf der Ausschuß nicht im Wege einer Beratung grünes Licht für eine Geschäftsführungsmaßnahme geben, die, nachdem der Vorstand sich darauf eingestellt hat, vom Gesamtaufsichtsrat im Wege eines Zustimmungsvorbehaltes verhindert wird. Die Beratung durch den Ausschuß ist letztlich nur eine Hilfstätigkeit für das Gesamtorgan, die von diesem mitgetragen sein muß43, selbst wenn dem Ausschuß in bestimmter Hinsicht die Beschlußbefugnis übertragen worden ist.

 

Zu beachten ist auch, daß selbst im Rahmen von beschließenden Ausschüssen die Gesamtverantwortung des Aufsichtsrates erhalten bleibt und das Gesamtgremium für Pflichtverletzungen des Ausschusses gemäß § 116 AktG verantwortlich ist44, was selbstverständlich auch für Pflichtverletzungen eines Ausschusses im Rahmen der Beratung gilt: Soweit die Kontrolle im Sinne des § 111 Abs. 1 AktG zunächst die Überprüfung der Tätigkeit des Vorstandes betrifft und insoweit auf tatsächlichem Gebiet liegt (Prüfung der Unterlagen und Berichte des Vorstandes etc.), ist eine Übertragung auf Ausschüsse ohnehin nicht möglich, obwohl § 107 Abs. 3 S. 2 AktG dem Wortlaut nach insoweit nicht einschlägig ist; § 107 Abs. 3 S. 2 AktG umfaßt aber in seinem Anwendungsbereich nur Entscheidungsbefugnisse und nicht die auf tatsächlichem Gebiet liegende Prüfungstätigkeit45, in deren Rahmen der Ausschuß von vornherein auf eine Hilfstätigkeit zur Vorbereitung von Entscheidungen des Gesamtaufsichtsrates beschränkt ist, vgl. § 107 Abs. 3 S. 1 AktG. Da die auf die tatsächliche Prüfung folgende "Entscheidungs- und Maßnahmenkette" meist ihrerseits wieder im Gesamtgremium endet (etwa beim Zustimmungsvorbehalt), ist eine völlig eigenständige Aufgabenerledigung durch einen Ausschuß praktisch ausgeschlossen, was auch und gerade im Hinblick auf die Beratung gilt.

  

 

ERGEBNIS:

 

Eine ressortübergreifende Übertragung der Beratung auf einen Aufsichtsratsausschuß ist nicht möglich.

 

Auch im Rahmen einer ressortmäßigen Übertragung von Aufgaben auf einen Ausschuß hat dieser die Beratung stets mit dem Gesamtorgan abzustimmen.

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1 Vgl. etwa Lutter/Krieger § 2 Rdnr. 14, der zwar die These von der "Beratungspflicht" und dem "Beratungsrecht" aufstellt, ohne diese Unterscheidung aber näher zu erläutern.

2 BGH DB 1994 S. 86.

3 OLG Düsseldorf NJW-RR 1995 S. 1371.

4 Raiser, NJW 1996 S. 553 (Besprechung zu OLG Düsseldorf aaO).

5 BGH DB 1994 S. 86.

6 § 2 Rdnr. 15.

7 BGH ZIP 1991 S. 654; BGH DB 1994 S. 1667; vgl.a. OLG Köln DB 1994 S. 2019.

8 BGH ZIP 1991 S. 654.

9 So etwa Lutter, Information und Vertraulichkeit S. 6.

10 S. 96.

11 S. 71 f: Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit.

12 Steinbeck S. 228.

13 Steinbeck S. 228.

14 Lutter/Krieger § 2 Rdnr. 15 m.w.N.

15 AaO.

16 Er kann sich lediglich anderer Hilfspersonen bedienen, wie z.B. leitender Angestellter.

17 Steinbeck S. 229.

18 Vgl. GroßKomm-Schilling § 93 AktG Anm. 30: die Zustimmung des Aufsichtsrates könne im Einzelfall ein Beweisanzeichen dafür sein, daß die Vornahme des Geschäfts nicht gegen die Sorgfaltspflicht verstieß.

19 Semler S. 96.

20 Hoffmann/Lehmann/Weinmann § 25 MitbestG Rdnr. 79.

21 Hüffer § 111 AktG Rdnr. 1.

22 GroßKomm-Meyer-Landrut § 111 AktG Anm. 13.

23 BGH DB 1994 S. 1666; OLG Köln DB 1994 S. 2019; KG DieAG 1997 S. 42; aus der jüngsten Literatur: Deckert, DieAG 1997 S. 42; eine zusammenfassende Übersicht über die vertretenen Ansichten in der Literatur bringt Krummel/Küttner DB 1996 S. 195 f.

24 BGH ZIP 1991 S. 654.

25 BGH ZIP 1991 S. 654; BGH DB 1994 S. 1667.

26 OLG Köln DB 1994 S. 2019.

27 Andere wollen Beratungsverträge in noch weiterem Umfange zulassen: wenn die Beratung zwar grundsätzlich der spezifischen Überwachungs- und Beratungspflicht des Aufsichtsrates unterliege, aber Beratungsumfang und -intensität über dem zu erwartenden Maß liege, könne ein unter § 114 AktG fallender Beratungsvertrag geschlossen werden, so Lehmann, DB 1966 S. 1757; ablehnend Lutter/Kremer, ZGR 1992 S. 94.

28 Abgrenzungsschwierigkeiten betonen auch Vollmer/Maurer, BB 1993 S. 593.

29 BGH DB 1994 S. 1667; KG DieAG 1997 S. 43; Deckert, DieAG 1997 S. 114; s.a. Krummel/Küttner, DB 1996 S. 196.

30 BGHZ 38 S. 34; WM 1973 S. 637; a.A. z.T. die Literatur, die aber über das Rechtsinstitut des Mißbrauchs der Vertretungsmacht, § 242 BGB, zu dem gleichen Ergebnis kommt.

31 BAG AP Nr. 35 zu § 11 ArbGG 1953 (Grde Nr. 1b).

32 Einen ähnlichen Gedanken verfolgen Vollmer/Maurer, BB 1993 S. 593, allerdings von einem anderen Ausgangspunkt: da die gesetzlich geschuldete Beratung schon sehr weit ginge, bestünde bei zusätzlichen vertraglichen Beratungsaufgaben die Gefahr, daß der Aufsichtsrat in eine das Trennsystem sprengende Mitgeschäftsführung gerate; das KG (DieAG 1997 S. 43) hebt hervor, daß Beraterverträge wegen unzulässiger Vermengung der Tätigkeitsbereiche des Vorstandes und Aufsichtsrates unzulässig sind, wenn die Beratungstätigkeit allmählich in eine echte Geschäftsführungstätigkeit verwandelt werde (Geschäftsführungsverbot); s.a. Deckert, DieAG 1997 S. 111.

33 Siehe Lutter/Kremer, ZGR 1992 S. 92 f.

34 Lehmann, DB 1966 S. 1758.

35 Vgl. MüHdBuch GesRe AG § 32 Rdnr. 1; vgl.a. Bericht in SZ v. 8.11.94 "Plädoyer für Aufsichtsrats-Ausschüsse"; auch Claussen, DieAG 1996 S. 486 tritt für eine Intensivierung der Ausschußarbeit bei großen Gesellschaften ein.

36 Geßler-Geßler § 107 AktG Rdnr. 67.

37 Geßler-Geßler § 107 AktG Rdnr. 67; Baumb-Hueck § 107 AktG Rdnr. 15; GroßKomm-Meyer-Landrut § 107 AktG Anm. 15.

38 Frels, DieAG 1957 S. 9 ff und DieAG 1958 S. 232 ff.

39 MüHdBuch GesRe AG § 32 Rdnr. 3; Geßler-Geßler § 107 AktG Rdnr. 78; GroßKomm-Meyer-Landrut § 107 AktG Anm. 16.

40 Geßler-Geßler § 107 AktG Rdnr. 78.

41 Siehe dazu etwa MüHdBuch GesRe AG § 32 Rdnr. 1.

42 GroßKomm-Meyer-Landrut § 107 AktG Anm. 16 a.E.

43 Hüffer § 111 AktG Rdnr. 9.

44 Wobei insofern eine Beschränkung auf eine Art Auswahl- und Beaufsichtigungsverschulden vertreten wird, vgl. Geßler-Geßler §107 AktG Rdnr. 84.

45 Siehe Geßler-Geßler § 107 AktG Rdnr. 78; MüHdBuch GesRe § 32 Rdnr. 3; Hüffer § 111 AktG Rdnr. 9.

 

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